Es ist ein trauriger Tag, dieser 11. März, denn wieder einmal hat ein junger Mensch zur Waffe gegriffen und damit das Leben anderer Menschen beendet. Passiert ist das alles in Winnenden und die kommenden Tage und Wochen werden geprägt sein von Debatten, was genau beim Tim K. falsch gelaufen ist. Es wird um Killerspiele gehen. Wieder einmal. Es wird um das Waffengesetz gehen. Wieder einmal. Und es wird um den Jugendschutz gehen. Und am Ende werden neue Gesetze beschlossen und noch mehr Überwachungs- und Kontrollstaat geschaffen, die den nächsten Amoklauf auch nicht verhindern werden. Doch das soll heute nicht das Thema sein.
Es gibt sicherlich genug Experten, die sich ab jetzt den Mund fusselig reden. Hier geht es – wie so oft – um die Arbeit der Meute Medien, die sich wieder einmal mit wenig Ruhm bekleckert haben. Statt zu entwirren und Ordnung ins Chaos zu bringen, haben sich Nachrichtenagenturen, Fernseh- und Radiosender mit Meldungen überschlagen und so für totale Verwirrung gesorgt. Der Täter ist gefasst, dann wieder nicht und am Ende hat er sich erschossen. Oder wurde erschossen auf der Flucht, während eines Feuergefechts. Dazu wurden Fehler gemacht und dokumentiert. Langsam wird es ruhiger und die Meute versammelt sich vor dem Haus des Opfers, um den Eltern das letzte bißchen Selbstachtung zu rauben. Es ist schon eine beschissene Welt in der wir Leben.
Heute haben wir jedoch eine neue Stufe erreicht: Twitter. Ich muss zugeben, dass ich auf diesem Weg auch die eine oder andere Info ins Netz gestellt habe, aber was heute abging war einfach ein Tick zuviel. Journalisten aus aller Welt meldeten sich bei dem Dienst an, um so an Kontakte direkt aus der Stadt zu gelangen. CNN zum Beispiel, aber auch viele kleinere Sender, Blätter und Online-Medien aus aller Welt. Und sie hatten Erfolg. Bei Tontaube zum Beispiel, die in Winnendenarbeitet, und auch bei Zellmi, der immerhin auf Winnendenhiba schauen kann. Beide haben mit den Vorfällen also nicht direkt zu tun, aber sie sind immerhin in der Region und können einen O-Ton abgeben.
Das Ergebnis sind Berichte bei DerWesten, beim Bayrischen Fernsehen, bei Focus und etlichen anderen Online-Medien. Dort kommt die Twittergemeinde zu Wort und kann über ihre Gefühle sprechen. Und auch im Fernsehen fällt das Wort Twitter nun immer öfter. N-TV zeigt es, das ZDF zeigt es und viele andere zeigen es. Das ist neu. Das ist anders, denn bisher spielte das Internet in der Berichterstattung eher eine untergeordnete Rolle. Genau wie Zeugen aus der zweiten Reihe. Film und Fersehen belästigen sonst immer direkt Betroffene. Schüler, Eltern, Lehrer, Anwohner. Einwohner sind ein nettes Beiwerk. Anders bei Twitter. Hier kommt die breite Masse zu Wort. Amoklauf in Realtime.
Das ist schon eine kleine Sensation und Roadrunner wirft die Frage in den Raum, ob dieses Ereignis der Durchbruch für Twitter ist. Ich denke ja, denn beim Amoklauf von Emsdetten hat sich noch niemand für das Internet interessiert. Und dass, obwohl dort genauso heftig um Informationen gekämpft wurde, wie heute bei Twitter um Augenzeugen. Zu diesem Zeitpunkt jedoch noch nicht zentralisiert auf einem Dienst, sondern still und heimlich in Foren und Websites. Am heftigsten tobte der Kampf um den Abschiedsbrief von Bastian B., den dieser auf seiner Website veröffentlicht hatte. Die Polizei sperrte den Auftritt umgehend, allerdings waren bereits Kopien angefertigt und verteilt worden. Am Ende landete das Schreiben bei Indymedia und damit außerhalb der Reichweite der übereifrigen Gesetzeshüter.
Mit einem Dienst wie Twitter wäre dieser Brief in Minuten um die ganze Welt gegangen, wie es aktuell mit jeder Aussage von Betroffenen, Beamten, Experten und Politikern geschieht. Alles wird in Echtzeit dokumentiert, kommentiert und verlinkt. Der größte Liveticker der Welt, dem dauerhaft zu Folgen schnell Kopfschmerzen bereiten kann. Denn unter dem Suchwort Winnenden tickern die Tweets inzwischen im Sekundentakt ein. Informations-Overload. Also doch zurück zur Agenturnachricht, die zwar weniger schnell erscheint, dafür aber gut sortiert. Und dennoch: der Damm ist gebrochen und zukünftig werden Redakteure nach großen Ereignissen nicht nur den Fernseher anschalten und zum Telefon greifen, sondern auch Twitter einschalten und nach Stories suchen. Und die Masse wird sie ihnen liefern.