In den vergangenen Tagen habe ich in den Tiefen des Internets verschiedenen Diskussionen über Politik und Politikmüdigkeit über mich ergehen lassen. Einige gewollt, andere ungewollt, aber alle mit demselben Tenor. Politisch aktive Menschen beklagen sich über die Politikmüdigkeit ihrer Mitbürger. Und nicht nur das. Kritiker in Foren und Blogs bemängeln ein generelles Desinteresse an gesellschaftlichen Themen. Und weil ich genau in diese Gruppe falle, habe ich mir zwischen dem Update meiner Handy-Software, dem Übertragen der neuesten Live-Sets auf meinem MP3-Player und dem Fitnessstudio ein paar Gedanken gemacht.
Wer bis hier hin gelesen hat, wird den Tenor der Kritik bereits verstanden haben: es ist zu viel. Es ist einfach alles zu viel. Ich bin bei weitem kein Sozial- oder Gesellschaftsexperte, aber um eine Antwort auf die Frage zu haben brauche ich mich einfach nur in meinem Zimmer umzuschauen. Die Anleitung meines Routers: 17 Seiten. Das Telefon 53, das Handy 163, die PSP über 300. Ich umgeben von digitalem Müll, der mein Leben vereinfachen soll und für deren grundlegende Beherrschung locker mein gesamter Jahresurlaub drauf gehen würde. Und für das Erreichen der Perfektion ziehe ich mich einfach für ein Jahr mit einem Notstromaggregat und einer Satellitenverbindung auf eine einsame Insel zurück. Und wofür das alles? Um zurückzukehren und zu sehen, dass ich meine Zeit damit verschwendet habe den technologischen Anschluss zu verlieren.
Mit diesem kleinen Beispiel möchte ich deutlich machen, was Menschen heute davon abhält sich politisch zu engagieren. Unsere Welt wird mit jedem Tag komplexer. Die Bewältigung unsere täglichen Aufgaben verlangt uns ohne dass wir es bemerken immer mehr Engagement ab. Natürlich kann man mit einem Handy auch einfach nur telefonieren und für die Konfiguration des Routers einen Bekannten anrufen, aber letzten Endes verlagert man das Problem so einfach nur auf Dritte. Dazu führt die Verweigerungsstrategie nur bedingt zum Erfolg. In einigen Jahren wird der Einkauf an der Kasse nur noch selbst gescannt und bezahlt, werden Fotos vom USB-Stick direkt in den digitalen Drucker im SB-Store geschoben. In einigen Jahren wird der Schalter in der Bank nur noch gegen Gebühr zugänglich sein und der Rest der Geschäfte am Terminal erledigt. Wenn es das Terminal überhaupt noch gibt.
Ich habe keine Ahnung wie Menschen den Wandel früher erlebt haben, aber ich kann mir beim besten Willen nicht vorstellen, dass es so anstrengend war. Stunde um Stunde meines Lebens verbringe ich mit solchen Nichtigkeiten und wenn es um die eigentlich wichtigen Dinge geht, schalte ich ab. Noch mehr Anleitungen und Erklärungen ertrage ich einfach nicht. Ganz egal von wem sie kommen und wer gerade etwas will. Politische Krise in Lampukistan: Was juckt es mich? Landtagswahl in Hintertupfingen: wohne ich da? Schon wieder Bundestagswahl? Wer tritt nochmal an? Ist mir eigentlich alles egal, denn letzten Endes labern die Schlipsträger doch alle dieselbe gequirlte Scheiße, die ihnen ihren PR-Berater und Redenschreiber vor die Nase legen. Und deswegen bin ich ihnen nicht einmal böse. Warum auch. Wenn ich als durchaus belesener und interessierter Bürger unsere Welt angesichts ihrer Komplexität nicht mehr verstehe, wie soll es da ein Politiker können?
Und genau da liegt das Problem. Nicht nur in den Anleitungen für die Geräte zuhause, sondern in dem ganzen Ding. Unser gesamtes Leben wird inzwischen von Maschinen gesteuert. Und wo es noch keine adäquate Technik gibt, regeln aberhunderte Vorschriften unseren Alltag. Und anstatt die Dinge einfacher zu machen, erfinden wir immer neue Maschinen, die all die Vorschriften für uns verwalten und das Leben wieder einfach machen. Oder doch nicht? Je mehr dieser Maschinen wir bauen, desto weniger überblicken wir unser Tun und Handeln. Computergestützte Rechenmodelle für die Finanzmärkte, den Klimawandel, das Verkehrsaufkommen und die Demographische Entwicklung. Statistiken, Daten, Zahlen. Von den fleißigsten Hausfrauen bis zu den besten Zertifikaten alles mundgerecht in Rankings verpackt. Wer soll bei all den Informationen den Überblick behalten und – noch viel wichtiger – Visionen für das große uns Ganze entwickeln?
Ich habe keine Antworten auf diese Fragen, komme aber immer mehr zu der Überzeugung, dass die moderne Technik Fluch und Segen zugleich ist. Ja, ich genieße es an einem sonnigen Sonntagmorgen mit dem Laptop auf dem Schoß in der Sonne zu sitzen und Zeitungen aus aller Welt zu lesen, die mich früher nie erreicht haben. Ich genieße es mit Freunden und Bekannten aus aller Welt über das Internet zu kommunizieren wo immer ich bin. Ich empfinde es sogar als Segen, mich mit meinem Navigationsgerät nie mehr zu verfahren. Aber all diese netten Dinge machen die Sache nicht besser, sondern nur noch schlimmer. Ohne sie geht es nicht und mit ihnen eigentlich noch weniger. Vielleicht sollte man einfach einmal weltweit für vier Wochen den Strom ausschalten und schauen, was passiert. Das ganz große Erwachen? Anarchie, Mord und Totschlag?
Eine spannende Frage, auf die ich so schnell keine Antwort erhalten werde. Also versuche ich vielleicht den umgekehrten Weg. Im Selbstversuch ein, zwei Jahre ohne Test, Technik, Radio, Fernsehen und Internet leben. Vielleicht komme ich dann ja zurück und habe mehr Elan, mich nach der Anleitung zum überspielen der Videos von meiner Kamera auf dem Computer und dem Online-Kurs für die Bedienung der Schnittsoftware auch mit Politik und anderen wichtigen Dingen zu beschäftigen. Bis es soweit ist, halte ich es wie der Rest. Ich schalte ab, auch wenn es eigentlich traurig ist.