Ich glaube nicht an Gott, aber sollte es ihn geben, sind wir seit letzten Freitag Quitt. Nach meiner Rechnung hätte ich sogar den einen oder anderen Fehltritt gut. Denn seit sechs Tagen läuft mein Leben in Schüben ab. Stehend oder liegend, doch auf keinen Fall sitzend, denn kurz hinter dem Allerwertesten wurde ein kräftiges Stück herausgeschnitten. Die genauen Details erspare ich mir, allerdings muss ich das Erlebnis Niederschreiben und – der modernen Technik sei Dank – lässt sich so ein Laptop auch prima bedienen wenn man auf dem Bauch liegt. Na ja vielleicht nicht ganz so prima, denn der Prozess des Schreibens erinnert wohl eher an einen spastischen Anfall.
Das alleine rechtfertigt noch keine Geschichte über so etwas banales wie eine OP, doch ganz so banal ist die Sache leider nicht. Aus mir Herausgeschnitten wurde ein Polyp und weil eine Naht an dieser Stelle nicht möglich ist, muss die Wunde langsam abheilen. Soweit der Plan der Mediziner, die mit ihrem allzeit freundlichen Lächeln genauso gut Backrezepte oder Aufbauanleitungen für Ikea-Möbel vorlesen könnten. Warum können die nicht einfach die Wahrheit sagen. Denn die Wahrheit ist, es tut scheiße weh, und dass im wahrsten Sinne des Wortes und ganz anders als bei allen anderen OPs. Denn die Wunde heilt nicht einfach ab. Mit jedem gang aufs Klo findet der Heilungsprozess ein vorzeitiges und jähes Ende. Mir kommt es sogar so vor, als fängt er jedes Mal von vorne an. Das Gewebe wird gedehnt, platzt wieder auf und… ich erspare euch das lieber. Es tut einfach scheiße weh und das immer wieder.
Schmerzen. Infernale, barbarische, pochende, stechende, brennende, hässliche Schmerzen. Beim ersten Mal habe ich geschrien und als das zum letzten Mal passiert ist, hatte sich meine rechte Hand fast vom Arm verabschiedet. Und dann wird es besser, hört ganz langsam auf, bis es am Ende nur noch ein schwaches Pochen ist. Irgendwann fühle ich mich dann wieder richtig gut, nur um einen Toilettenbesuch später erneut im Tal der Schmerzen zu landen. Genau so muss sich Folter anfühlen und der Mensch, der Folter erfunden hat, hatte vorher diese OP. Den Schmerz solange ausreizen, bis das Opfer kurz vor der Besinnungslosigkeit ist, dann aufhören, erholen lassen und wieder von vorne anfangen. Und irgendwann dreht man durch, drehe ich durch.
Aber was soll man auch erwarten. Schon das Gespräch mit dem Anästhesisten hatte etwas von einem Psychothriller und in meinen Paracetamol gepeitschten Träumen verfolgt mich der grauhaarige Mann mit einem diabolischen Lachen und jagt mich durch die Gänge des Krankenhauses. Aber was soll man auch erwarten. Ist es normal, dass man nach einer OP mit Vollnarkose noch am selben Tag ohne Gespräch mit dem Arzt nach Hause geschickt wird? Ist es normal, zwei Tage statt der notwendigen Woche krankgeschrieben zu werden? Und ist es normal, dass die Arzthelferinnen über ihre Kolleginnen ablästern, als wäre ich gar nicht im Raum? Die Odyssee zur Praxis am Montagmorgen hat mich jedenfalls wieder einmal an der Menschheit zweifeln lassen.
Inzwischen habe ich keine Lust mehr, zu essen. Genauer gesagt habe ich Angst davor, denn ich weiß was mir blüht. Ohne Essen keine Heilung, mit Essen neue Schmerzen. Eine beschissene Situation. Ich habe es mit Suppe versucht, aber spätestens nach der zweiten Ladung schreit mein Körper nach den Köstlichkeiten, mit denen ich ihn sonst verwöhne. Saftiges Rinderfilet, eine Pizza vom Stammitaliener, Rippchen mit Sauerkraut. Verdammt noch mal, ich möchte essen! Ich möchte schlemmen und mich am Ende in einer Badewanne voll Spaghetti-Sauce ertränken. Und dann wieder nicht. Denn im Hinterkopf spricht der kleine Mann, auf dessen Geheiß ich am Ende mit stoischen Kaubewegungen Nahrung zuführe, ohne dabei groß zu denken. Denn wenn ich weiter denke, habe ich in zwei Wochen den nächsten Termin. Dieses Mal wegen des Magengeschwürs.
Alles in allem ist es irgendwie merkwürdig. Ich liege hier und es geht mir gut. Gut dank meines Hausarztes, der mich heute nicht nur noch einmal krankgeschrieben hat, sondern auch endlich ordentliche Schmerzmittel. Und nun liege ich da und überlege, was ich als nächstes mache. Vielleicht eine Auszeit im Job, um die Grundausbildung bei den Marines zu absolvieren. Oder vielleicht Survival-Training in Sibirien? Das habe ich gestern im Discovery Channel gesehen und ich glaube, jetzt bin ich echt bereit für die Scheiße. Vierzig Grad Minus, schlafen in stinkenden Höhlen und als Essen tiefgefrorene Eichhörnchen. Und vielleicht, ganz vielleicht ist das ja doch noch eine Nummer härter als das hier. Am besten fange ich aber erstmal klein an. Mit dem Hinsetzen zum Beispiel…