Seit gestern ist es amtlich. Das Verwaltungsgericht Darmstadt hat das Betretungsverbot für Eintracht-Fans gekippt. Rechtlich gibt es an diesem Urteil nichts auszusetzen, ganz im Gegenteil sogar. Das Verbot war unverhältnismäßig und hat auch alle friedlichen Anhänger der SGE unter Generalverdacht gestellt. Seine Aufhebung stärkt die Demokratie in unserem Land und ist ein Zeichen für die Wichtigkeit unserer Grundrechte. Das gesagt, hat das Urteil jedoch eine Schattenseite. In dem sie ihr Recht zur freien Entfaltung der Persönlichkeit durchgesetzt haben, schränken die Fans der Eintracht damit andere im selben Maße ein. Zwar nicht direkt und vielleicht auch nicht beabsichtigt, aber absehbar.
Gemeint sind Teile der Darmstädter Bürgerschaft, die sich aus Angst vor Übergriffen der Adler-Anhänger nicht mehr sorgenfrei in ihrer Stadt bewegen können. In sozialen Medien berichten vor allem Familien mit Kindern, dass sie die Innenstadt am Samstag aus Vorsicht lieber meiden wollen. Einige Fans wollen sogar dem Stadion fernbleiben. Greifbar wird diese Angst durch die Schließung von Kneipen und Einschränkungen bei typischen Treffpunkten. Die Centralstation zum Beispiel, wo aus Sicherheitsgründen keine Übertragung des Spiels stattfindet. Oder der Ratskeller, traditioneller Treffpunkt der Lilienfans vor dem Spiel, der nur unter verschärften Sicherheitsbedingungen geöffnet ist. Das Leben für Fans und Bürger wird deutlich eingeschränkt. Freie und vor allem sorgenfreie Entfaltung sieht anders aus. Viele Bürger haben Angst, und zwar zu Recht.
Bereits zwei Mal hat die Frankfurter Szene der Darmstädter Innenstadt einen Besuch abgestattet. Das erste Mal im Oktober 2015, nach der 1:5 Heimpleite gegen Gladbach und darauf folgenden hämischen Kommentaren der Darmstädter Fanszene. Der neue „Besuch“ fand diesen Dienstag statt und in beiden Fällen waren Großeinsätze der Polizei die Folge. Und genau dieser Personenkreis der Frankfurter Szene ist es, der von der Aufhebung des Verbots am meisten profitiert. Die Ankündigung eines „Ausflugs“ nach Darmstadt erfolgte über entsprechende Kanäle bereits vor Wochen. Da Stadion samt Umfeld trotz Aufhebung des Verbots tabu bleiben, und zudem keine Chance auf den Erwerb von Karten besteht, bleibt nur ein Ziel übrig: die Darmstädter Innenstadt. Und hier sitzen die Fans der Lilien, die – zumindest in weiten Teilen – kein Interesse an einer Zusammenkunft dieser Art haben.
Eine so starke Antipathie wie im Fall von Kickers Offenbach gibt es zwar nicht, dennoch sind die Fans beider Lager alles andere als Freunde. Durch die räumliche Nähe der beiden Vereine und den Umstand, dass viele Eintracht-Fans aus dem Kreis Darmstadt-Dieburg stammen, gibt es zwar eine gewisse Toleranz. Zu einer Verbrüderung wird es jedoch nicht kommen. Dazu sind die Gräben zu tief, dazu ist zu viel passiert. Hassplakate, Fahnenverbrennung und Überfälle auf Lilien-Fans – und hier reden wir nur von der jüngsten Vergangenheit. Zusammengefasst kann man mit Fug und Recht sagen, dass der Adler am Samstag in der Innenstadt unerwünscht ist. Die einzigen beiden Gründe, Darmstadt dennoch zu besuchen, sind Protest und Provokation. Protest durch den Teil der Anhänger, die das Urteil erstritten haben, und Provokation durch die eingangs erwähnte Reisegruppe. Dass eine Trennung beider Fraktionen nur schwer möglich sein wird, ist dabei genau absehbar wie die Reaktion der Darmstädter Fanszene auf die bloße Ankündigung des Besuchs: mit uns nicht. Nicht ein drittes Mal.
Dazu kommt noch ein weiterer wichtiger Faktor: der Unsinn einer wie auch immer gearteten Versammlung durch Eintracht-Fans in der Darmstädter Innenstadt. Verursacht haben das Problem nämlich weder die Fans der Lilien noch die Bürger der Stadt, sondern zuallererst der eigene Anhang und danach der Deutsche Fußballbund. Hätte sich das DFB-Sportgericht vor seinem Urteil auch nur zehn Minuten mit der Historie von Geisterspielen beschäftigt, wäre ihnen vielleicht ein Ereignis aus der Saison 2011/2012 ins Gedächtnis gekommen. In diesem Jahr wurde der SGE-Anhang bereits einmal mit einem ähnlichen Verbot bestraft – und fuhr dennoch zum Spiel. Damals mit tatkräftiger Unterstützung der Fans von Union Berlin und anschließendem Schulterschluss in Form deutlicher Transparente In Richtung des DFB. Ein solches Szenario ist am Samstag ausgeschlossen. Die letzten Sympathiepunkte wurden spätestens am 6. Dezember am Zaun der Commerzbank-Arena verbrannt.
Das Ziel der Versammlung sollte dementsprechend die eigene Fankurve sein, der man das Problem zu verdanken hat. Am ehesten aber noch die DFB-Zentrale, denn dort sitzt das eigentliche Problem. Protestiert wird dennoch am Spielort, mit der offiziellen Begründung „nahe am eigenen Team zu sein und dieses zu unterstützen“. Wer es glaubt wird selig. Geholfen wird damit niemandem. Nicht der eigenen Mannschaft und schon gar nicht der Entspannung der Lage. Konflikte sind hier vorprogrammiert, da der soziale Habitus des Fußballfans zur Geltung kommt. Fans verfeindeter Vereine sind am Spieltag generell nicht an den Treffpunkten der Heimfans erwünscht und werden in solchen Fällen deshalb üblicherweise vom Anreisepunkt direkt ins Stadion geleitet. Das gilt für Darmstadt und Frankfurt genauso wie für Schalke und Dortmund, St. Pauli und Hansa Rostock, sowie zahllose andere Begegnungen im Fußball. Oder anders gesagt: bei einem Derby unter Beteiligung der Vereine Darmstadt, Offenbach und Frankfurt würde unter normalen Bedingungen niemand auch nur ansatzweise auf die Idee kommen, sich als Auswärtsfahrer in den Innenstadtbereich der Heimmannschaft zu begeben. Die Sicherheitskräfte würden das auch gar nicht zulassen.
An normalen Spieltagen ist eine solche Fantrennung mit hohem aber überschaubarem Aufwand zu erledigen. Da die Fans den Auswärtsblock als Ziel haben und zumindest in weiten Teilen gemeinsam anreisen, können sie so kanalisiert werden. Morgen ist das nicht der Fall. Von wo mögliche Auswärtsfans anreisen bleibt genauso unklar, wie deren exakte Zahl. Sicher ist nur so viel: sie werden kommen und damit genau das auslösen, was das Betretungsverbot verhindern sollte. Spannungen, einen Großeinsatz der Polizei und im schlimmsten Fall Ausschreitungen in der Innenstadt. Die logische Konsequenz ist die eingangs erwähnte Meidung der Innenstadt durch Teile der Bürgerschaft, die in dieser Form genauso einmalig ist wie das Betretungsverbot. Eintracht-Fans sollten sich deshalb morgen aus der Innenstadt fernhalten. Wenn ihr euch unbedingt treffen möchtet, dann fahrt in die Fußballkneipen nach Frankfurt. Dort könnt ihr zusammen mit Gleichgesinnten mitzittern, trauern oder jubeln. Zur freien Entfaltung empfehle ich zudem einen Spaziergang in der Taunusanlage oder der dem Untermainkai. In Darmstadt gibt es hingegen nichts für euch. Keinen Fußball, keinen warmen Empfang und vor allem kein Verständnis. Solltet ihr dennoch kommen, wovon ich fest ausgehe, werdet ihr mit derselben Herzlichkeit empfangen, die uns auch in Frankfurt entgegenbracht würde. Keine!
Allez les Bleus!