Proletensport

Es läuft die 12. Minute in der Partie SV Darmstadt 98 gegen Brause Leipzig und es steht 0:0. Damit können die Lilien zufrieden sein, denn spielerisch sind die Gäste drückend überlegen. Auf den Rängen führt das zu Unmut. Was auch sonst. Falsche Aufstellung, falscher Trainer, falsche Taktik, falsche Liga, falscher Film! Unterbrochen wird das Granteln durch regelmäßige Beschimpfung des Schiris oder gegnerischer Spieler. Der ganz normale Wahnsinn in deutschen Fußballstadien und eigentlich kein Grund, um in die Tasten zu hauen.

Minute 24: die Beschimpfungen werden rauer und ich überlege ernsthaft, mit dem Kurzen das nächste Mal wieder in die Nordkurve zu gehen. Da sind deutlich mehr Kleinkinder und vor allem die besseren Chancen auf neuen Wortschatz, der nicht in einem Gespräch mit den Erzieherinnen münden dürfte. Wie sagte doch jüngst ein alter Freund zu mir: „Fußball ist eben ein Proletensport“. Recht hat er! Als Jugendliche waren wir auch keine Kinder von Traurigkeit und noch heute bekommen die Kids im A-Block schon einmal eine Pommes versprochen, wenn sie mit dem leeren Bierbecher einen Ordner treffen. Und dennoch: irgendwo gibt es Grenzen.

Minute 57: Meine persönliche Grenze wurde überschritten. Nachdem ein Fan hinter mir die farbigen Spieler von Leipzig wechselweise als Affen oder Copa-Cabana-Affen bezeichnet, legt er in Folge gegen Ostdeutsche los. Und mir platzt der Kragen. Ich stehe auf, drehe mich um und fordere ihn auf, nun endlich still zu sein. Was folgt ist ein kurzer Dialog, der mich sprachlos zurücklässt. Auf seine rassistischen Äußerungen will ich später eingehen und starte mit der Frage nach „den Ossis“. Als ich wissen will, warum denn alle Ostdeutschen „scheiße“ seien, legt mein Gegenüber so richtig los und erklärt: „weil die da drüben die Flüchtlinge so mies behandeln. Ziehen sich Masken auf und beschmeißen die mit Steinen“.

Minute 58: Schweigen. Schweigen und Verzweiflung. Ich habe abgewunken und mich wieder hingesetzt. Jedes weitere Wort wäre verschenkte Liebesmühe. Ein Mensch, der Schwarze als „Affen“ bezeichnet, skizziert mir im selben Atemzug seine pauschalen Vorurteile gegen Ostdeutsche aufgrund deren Umgang mit Flüchtlingen. So viel Dummheit tut weh. Eigentlich sollte ich aufstehen und meinen Frust herausbrüllen, sollte diesen Idioten aus dem Block brüllen. Und wäre ich ohne Kind unterwegs, hätte ich das auch vielleicht getan. So bleibe ich meinen Prinzipien treu und lege mich nicht mit einem Idioten an. Nicht mit dem Kurzen auf dem Schoß.

Was bleibt ist ein mulmiges Gefühl und die Frage, warum solche Deppen nicht allgemein mehr Gegenwind bekommen. Zumindest für dieses Spiel war dann aber gottseidank Schluss. Kein Kommentar mehr aus der Reihe über mir. Ungeklärt bleibt dabei die Frage, ob es an meinem Kommentar, der Anwesenheit der vielen kleinen Kinder um uns herum oder der allgemeinen Depression nach den beiden Gegentore gelegen hat. An der Bereitschaft zur Einsicht jedenfalls sicherlich.