You’ll never walk alone…

Eigentlich kann ich mich nicht beklagen. Mein Verein, der glorreiche SV Darmstadt 98, spielt nach 21 Jahren wieder in der 2. Bundesliga. Damit nicht genug, stehen wir auf einem direkten Aufstiegsplatz! Unsere Gegner heißen jetzt Braunschweig und Düssseldorf, und nicht weiterlesen You’ll never walk alone…

Stadion, oder wie, oder was? – Konzept fürs neue „Bölle“ unter der Lupe

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Wenn es um den SV Darmstadt 98 geht, wird zurzeit vor allem ein Thema diskutiert: das neue Stadion. Im Gegensatz zur Mannschaft ist die alte Schüssel nämlich alles andere als zweitligatauglich. Klar ist, dass etwas passieren muss. Und zwar schnell. Was man allerdings genau mit dem Merck-Stadion am Böllenfalltor machen soll, darüber streiten sich die Geister. Vorgesehen ist der Umbau des „Bölles“ in eine Multifunktionsarena („MuFo“) mit Platz für bis zu 18.000 Zuschauer. Top-Modern, mit „Business-Seats“, Logen und allem Schnickschnack. Baukosten 27,5 Millionen Euro. Einem Teil der Darmstädter Bürger ist das ganz generell zu viel Geld für Fußball und sieht man von denen ab, herrscht auch bei den Befürwortern nicht unbedingt eitel Sonnenschein. Einige sind voll für die Arena, andere würden sich auch mit neuen sanitären Anlagen, ein paar mehr Verkaufsständen und einem Dach über der Gegengeraden zufrieden geben. Zweitgrößte zusammenhängende Stehtribüne Deutschlands und so, Tradition und Moderne und so, Allez Allez und so…

Ich selbst gehöre zu den „anderen“, wobei ich offen gesagt schon wunschlos glücklich wäre, wenn die im Baukonzept definierten Stehplätze auf der „Kopftribüne Heim“ (geplant: 5500) einfach mit den Sitzplätzen auf der „Gegentribüne Heim“ (geplant: 4850) getauscht werden. Meine feuchten Träume sind jedoch nicht der Anlass für diesen Blog-Eintrag, sondern die Machbarkeitsstudie „Neu-/Umbau Stadion Darmstadt„, aus der ich eben zitiert habe. Erstellt wurde die Analyse durch das Institut für Sportstättenberatung (IFS) und seit ihrer Veröffentlichung (Juli 2013) dümpelt die Datei  (PDF) auf meiner Festplatte herum. Gestern habe ich das Teil wieder herausgekramt, weil „Machbarkeit“ und „Finanzierbarkeit“ wieder einmal diskutiert wurden. Auf dem Darmstädter Sport-Forum sinnierte ein Vertreter des IFS über das hauseigene Papier und wie der Zusammenfassung im Echo zu entnehmen ist, lautet das Ergebnis „alles im grünen Bereich“ – wenn Machbarkeitsstudie und Wirklichkeit sich decken. Die große Frage lautet: tun sie das wirklich? Warum nicht einmal einen tieferen Blick in die Daten werfen, schließlich habe ich sie ja vorliegen.

Auf insgesamt 51 Seiten geht es in der Studie um Markt- und Standortanalyse, sowie um Bau- und Nutzungskonzepte. Mit Bau- und Nutzungskonzepten kenne ich mich nicht wirklich aus, dafür mit Fußball und meiner Heimatstadt. Und wahrscheinlich liegt es daran, dass mir einige Dinge sofort ins Auge springen. Da wäre zum Beispiel der Spielbetrieb. Im Nutzungskonzept werden hier (PDF Seite 22) pro Jahr neben 19 Ligaspielen und zwei Freundschaftsspielen auch zwei Spiele im DFB-Pokal aufgeführt. Zwei Partien? Das ist ganz schön gewagt. Um im Pokal mitzuspielen, muss der SVD dauerhaft die Klasse halten. Schafft er das nicht, muss er nach einem Abstieg in die 3. Liga auf den Plätzen eins bis vier landen (sehr sportlich!) oder den Hessenpokal gewinnen (sportlich).

Gehen wir der Einfachheit (und um des Friedens willen) halber also einfach einmal davon aus, dass die 98er sich dauerhaft in der zweiten Liga festbeißen und die erste Runde im Pokal damit gesetzt ist. „Sicher“ ist bei dieser Betrachtung aber lediglich ein Spiel zu Beginn der Saison, das Erreichen der zweiten Runde aber noch lange nicht (…es sei denn wir spielen gegen Mainz ;] ). Der Pokal hat eigene Gesetze, was dieses Jahr wieder einmal eindrucksvoll bewiesen wurde. Zum Auftakt mussten sich dieses Mal unter anderem Mainz, Nürnberg, Stuttgart und Düsseldorf verabschieden. Nix Runde zwei, nix Zusatzeinnahmen. Die logische Folge kann deshalb nur eins sein: das zweite Spiel gehört aus der Jahreskalkulation gestrichen, denn bei einem Ausscheiden gibt es die nächste Chance erst wieder in der folgenden Saison – oder anders gesagt: ein Jahr später. [Nachtrag vom 15.11.2014] Wenn man es genau nimmt, müssten sogar beide Spiele aus der Kalkulation gestrichen werden. Nach dem Aufstieg in die 2. Bundesliga haben die Lilien in der ersten Runde nämlich kein Heimrecht mehr. Es sei denn, die Saison würde auf Platz 15 oder 16 abgeschlossen (mehr dazu).

Weiter geht es eine Folie später (PDF Seite 23), wo das Nutzungskonzept im Bereich „Unterhaltungsveranstaltungen“ fünf „Kleinkonzerte mit 100 bis 1500 Besuchern“ auflistet. Dazu kommt ein Event aus dem Bereich „Kabarett / Comedy / Talk“ mit 500 bis 1000 Besuchern. Klingt alles ganz nett, aber irgendwie nicht schlüssig. Wenn ich an Konzerte oder Comedy in Stadien denke, dann schwebt mir dabei kein Kleinprogramm mit 1000 Hanseln auf der „Kopftribüne Heim“ vor. Wenn Stadion, dann volles Haus und „Klatsch, Bumm, BÄNG“. So wie damals bei Elton John (Viel Klatsch, ein bissi Bumm… für BÄNG hat’s leider nicht gereicht). Für mittelgroße Events stehen mit dem „Kongress-Saal“ des Darmstadtiums und der „Halle“ der Centralstation zudem bereits zwei passende Lokalitäten zur Verfügung, in denen man auch nicht extra eine Bühne ordern und aufstellen muss. Einen echten „Benefit in der gemeinsamen Vermarktung“ der drei Locations sehe ich deshalb nicht. Ganz im Gegenteil: „CS“ und Darmstadtium können nur dank erheblicher Zuschüsse der Stadt existieren (Klick, Klick und Klick), weshalb sich mir die Sinnhaftigkeit eines weiteren Veranstaltungsorts in direkter Nähe einfach nicht erschließen möchte.

Randnotiz: bei der Betrachtung der Studie ist mir zudem eine Unstimmigkeit bei den zugrunde liegenden Daten der „Markt- und Bedarfsanalyse“ aufgefallen. In der Liste der Veranstaltungsstätten (IFS-Studie Seite 6) wird die Centralstation mit einer maximalen Besucherkapazität von „398 Personen“ erfasst. Das ist prinzipiell richtig, wenn man die CS auf die bestuhlte Variante des Saals im 3. OG reduzieren möchte. Die bis zu 1200 Gäste bei unbestuhlten Veranstaltungen in der Halle (siehe Locationprofil Centralstation, PDF, Seite 6) werden in der Aufzählung nicht erwähnt. Ob es sich dabei um einen Fehler handelt oder bei der Betrachtung absichtlich nur der Saal gelistet wurde bleibt dabei erst einmal eine offene Frage. Mir fehlt aktuell die Zeit und die Muße beim IFS nachzuhaken.

Ähnlich schwierig wie die Mini-Konzerte fällt mir die Vorstellung von Trödel- und Antikmärkten in unserem geliebten Stadion. Solche Märkte führt das Nutzungskonzept im Abschnitt „Ausstellungen“ auf (PDF Seite 24). Wenn ich an Flohmärkte denke, fallen mir spontan der Karolinenplatz und der Bürgerpark ein. Die Vorstellung eine dieser beiden Darmstädter Institutionen auf die überdachten Zuschauer-Umläufe des Stadions zu verlegen ist absurd. Raum wäre vielleicht für spezielle „Fußball-“ oder „Sportbörsen“ mit einem strikten Fokus auf (Ball-)Sportbedarf. Solche Veranstaltungen besäßen im Gegensatz zu Antikmärkten ein Alleinstellungsmerkmal, sind aber ebenfalls schwer greifbar. Schaut man sich das Konzept etwas genauer an, wird der spekulative Charakter deutlich. In den zum Vergleich herangezogenen Stadien von Mainz (Coface Arena) und Heidenheim (Voith-Arena) lautet die Zahl der Veranstaltungen in der Kategorie „Ausstellungen“ jeweils Null. Oder anders gesagt: bei der Konkurrenz gibt es sowas nicht. Spannend ist deshalb vor allem die Frage, ob sie es bereits probiert haben (?). Falls ja, läuft es anscheinend nicht und man kann das Segment getrost streichen.

Fasse ich die genannten Punkte zusammen, ergibt sich für mich folgendes Bild: aus der Businessplanung (PDF Seite 46) sollten zwingend(!) die Einnahmen aus dem zweiten Pokalspiel gestrichen werden (Erlös „Ticketing“ und „Catering“, daraus folgend auch „Variable Spieltagskosten“ und ggf. „Kosten für Catering“). Für die Erlöse aus Drittnutzung sollte mindestens eine zweite Berechnung erstellt werden, in welcher die Einnahmen aus der Kategorie „Ausstellungen“ komplett herausgerechnet werden (Worst Case Szenario). Im Idealfall würde ich mir zudem sogar eine dritte Berechnung wünschen, in welcher neben den Ausstellungen auch die Kleinkonzerte und die Comedy in dieser Form gestrichen werden. Bei einem Verbleib im Konzept würde mich – bei allen Beteuerungen hinsichtlich einer gemeinsamen Vermarktung – zudem interessieren, was eine Verschiebung der Veranstaltungen aus der Centralstation und/oder dem Kongresszentrum in Richtung Stadion für die jewelige Location bedeuten würde (0/6, 6/0, 3:3, etc.). Denn auch hier existieren sicherlich Businesspläne.

Wenn es die Zeit zulässt, könnte man zudem ja einmal durchspielen wie die Chancen für echte Konzerte am Bölle stehen. Denn wenn das Programm stimmt, würde ich für meinen Teil auch abseits der 98er im Stadion vorbeischauen. Für Bülent Ceylan zum Beispiel, oder für AC/DC…